Sonntag, Juni 28

Teil 3

Ja, es war damals in der vierten Primarklasse. Maria Magdalena hatte lange braunglänzende Haare, die immer zu strengen Zöpfen auf beiden Seiten geflochten wurden. Das Haarewaschen war jedesmal ein Kampf, vor allem das Auskämmen der vielen "Knöpfe". Die Mutter hatte nicht immer viel Geduld mit den Haaren der Mädchen und so wurde der Samstagabend zur Haar Prozedur mit Tränen bei den Mädchen. Wie oft hatte Maria Magdalena mit den Eltern zu sprechen versucht, dass auch sie und ihre Schwestern die Haare schneiden dürften, wie dies bereits Mode in der Stadt war. Heimlich hatte sie eine Zeitschrift mit vielen modischen Frisuren studiert und das Magazin unter ihrer Matratze versteckt. Ihre Eltern hatten kein Einsehen und als die Mutter die Zeitschrift entdeckte kam es zu einem grossen Streit. Der Vater klopfte auf den Tisch und sagte, dass seine Mädchen mit währschaften, sauberen, zu Zöpfen geflochtenen Haaren zu erscheinen hätten. Diese modernen Machenschaften hätten in seiner Familie nichts verloren, am Aeusseren sehe man die Rechtschaffenheit der Familie, sie seien keine "Firlifranze", damit basta!
Kleinlaut gingen die Mädchen zu Bett, die Knaben lachten sich ins Fäustchen, für sie war dies kein Problem. 
Maria Magdalena dachte traurig an ihre Freundin vom Nachbarsbauernhof. Sie durfte sich ihre Haare schneiden lassen und hatte jetzt einen lustigen "Ponykopf", den sie bei jeder Gelegenheit schüttelte, sodass die Fransen fröhlich herumwirbelten. Mit einer farbigen Spange konnte sie sich einen seitlichen Scheitel machen, je nach Lust und Laune. Maria Magdalene hingegen durfte höchstens am Sonntag beim Kirchenbesuch zwei kleine schwarzweisse Mäschchen tragen, die die Zöpfe zusammenhielten!
Damit hatte sie nun endlich genug. Sie wartete bis die Eltern schliefen. Leise schlich sie sich aus der Mädchenkammer und holte die Schere im Wohnzimmer. Dann setzte sie sich vor den einzigen Spiegel in der gute Stube und begann die Haare zu kürzen. Am Boden häuften sich immer mehr braune Haarschnipsel. Sie begann mit den Fransen, knapp über den Augenbrauen, gerade abgeschnitten, dann gerade durch unter den Ohrläppchen, vielleicht noch etwas mehr. Nun hinten war dies ein kleines Problem. Aber irgendwie schaffte sie es und nun noch etwas abstufen, wie bei der Freundin. So geschafft. Im schwachen Licht der Lampe sah dies gar nicht schlecht aus und fühlte sich wunderbar leicht an! Rasch säuberte Maria Magdalena den Boden, stellte alles wieder an seinen Ort und verschwand in der Kammer.
Am nächsten Morgen fand ja die Pfingstaufführung in der Kirche statt. Glücklich schlief Maria ein. 
Am nächsten Morgen stand sie sehr früh auf, sie fühlte sich herrlich. Rasch zog sie die Sonntagskleider an und band ein hübsches passendes Tuch um den Kopf. Dann half sie den Gesschwistern aufstehen und alle frühstückten zusammen.
Der Vater inspizierte die nach Grösse aufgestellten Kinder vor dem Kirchgang. Er selbst in seiner besten Hose und Kittel, die Mutter im Sonntagsrock. Frohgemut marschierte die Familie zur Kirche, feierlich läuteten die Glocken schon Pfingsten ein. 
Die Kinder setzten sich auf die erste Bank und warteten auf die Feierlichkeiten. Aus vollem Herzen sangen alle: Komm Heilger Geist mit Deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft........ 
Nach der kurzen Andacht des Pfarrers kamen die Kinder zum Altar und jedes trug sein Gedicht vor. Nun war Maria Magdalena an der Reihe, sie nahm sich das karierte Tuch vom Kopf und sprach aus voller Brust:  

Dann winkte sie mit einem Pfingstrosenzweig  der Kirchgemeinde entgegen. Ihre Haare standen in alle Richtung und leuchteten vom Sonnenstrahl, der durch das farbige Kirchenfenster schien, hell auf. Das rot angelaufenen Gesicht ihres Vaters leuchtete in der vierten Reihe und sie vermeinte seinen Atem zu hören. Doch der Pfarrer dankte Maria Magdalena für die Darstellung der Ausschüttung des heiligen Geistes an Pfingsten und fröhlich ging der Gottesdienst zu Ende.
Beim Kirchenausgang wollten alle mit Maria Magdalena sprechen, es war eine so schöne und freudige Vorstellung an Pfingsten. Auch der Vater musste seinen Aerger hinunterschlucken und fröhlich traten sie den Heimmarsch an. 
Noch immer schmunzelte die alte Frau bei dieser Erinnerung. Sie griff sich in ihre kurzen Haare und fühlte sich gut.