Freitag, Juni 5

Teil 6


Traurig und etwas ratlos lässt sich Flocki von einem Windstoss ergreifen und weitertreiben. Vor einem alten, wunderschönen Gebäude mit einem Rundbogen gleitet Flocki sacht auf die Erde. Erstaunt sieht sie auf eine breite Wand voller Schädel. Flocki steht vor einem Beinhaus aus dem Jahr 1514, das 31 000 Totenschädel birgt. Beinhäuser dienten zur Aufbewahrung der Gebeine längst Verstorbener, deren Gräber ausgehoben worden waren.

„Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr“, steht als Mahnwort über den 1'857 an der Front sichtbaren Schädeln.

Wie schnell das Leben vorbei ist. Sollte man es nicht viel bewusster, achtsamer und dankbarer verbringen.

Nachdenklich fliegt Flocki weiter zum nahen Friedhof, wo eine alte, bucklige Frau traurig vor einem von Flechten überzogenen Grabstein steht.                                                                                         Vor fünfundfünfzig Jahren sind innerhalb einer Woche zwei ihrer drei Kinder an Diphterie verstorben. Nur Minusch, die Zweitklässlerin, blieb ihnen. Rolfli besuchte die dritte Klasse, Sabinli zählte fünf Jahre, als sie der Tod dahinraffte.

Wie waren sie bis dahin glücklich gewesen. Einige Monate vorher hatten sie gemeinsam einen hohen Berg bestiegen. Der Vater war stolz auf seine sportlichen Kinder und spendierte ihnen im Berggasthof einen Nussgipfel und Süssmost. Er war Volksschullehrer gewesen. In einem grossen Schulzimmer hatte er vierzig Kinder unterrichtet. Von der ersten bis zur sechsten Klasse waren alle beisammen. Sie hatten es gut miteinander gehabt bis im Herbst die Diphtherie zehn Schülern den Tod brachte. Mit brutaler Härte zeigte es ihnen die Verletzlichkeit des Lebens.                                       Wie unendlich kostbar doch das Leben ist. (Ch)